Newsletter

Das Minibus-Sandwich

Das Minibus-Sandwich

Mein Körper kann sich am Abend und den folgenden Tagen ganz auf das Bekämpfen des Burgers konzentrieren. Der nächste Stopp ist dann Chiang Mai, wo ich Elefanten sehen will. Zwei Tage später soll mein Flieger von Krabi abheben und ich ergattere den letzten von 10 Plätzen in einem Minibus, der mich zum Flughafen bringen soll.

Der Busfahrer

Ich sitze also morgens in meinem Hostel und warte auf den Fahrer. Nach einiger Wartezeit springt ein Mann mit großem Bauch und kurzem Hals erstaunlich dynamisch die Treppe hoch und ruft meinen Namen. Beziehungsweise, wie er denkt, dass er ausgesprochen wird. Denn ich merke nur deshalb, dass er mich meint, weil außer mir niemand auf ein Shuttle wartet. Ich stehe auf und gehe auf ihn zu. Er mustert mich von oben bis unten und sagt mir, dass ich ganz schön groß wäre.

Hm. Ist das wieder so eine Tradition? Dass man seinem Gegenüber zur Begrüßung etwas sagt, was dieser selber schon weiß? Vielleicht. Lieber nichts riskieren. Sage ihm, dass er ein weisses Polo-Shirt trägt. Er grinst breit und präsentiert mir dabei die breite Lücke zwischen seinen Schneidezähnen. In Kombination mit den riesigen Pupillen seiner dunklen, funkelnden Augen, wirkt sein Grinsen schon noch irgendwie freundlich, aber auch ein wenig beängstigend. Leicht psychopathisch. Tendenziell diabolisch. Was der wohl ausheckt? Die aufkommende Skepsis und Angst wird glücklicherweise im Keim erstickt, als mein Blick auf seine Oberlippe fällt. Dort sonnt sich ein extrem dünner, grauer Schnurrbart. Der ist so lächerlich dünn. Wie ein Stück Schnur. Er hat einen grauen Schnur-bart.

Da ein Schnurrbart zur Seite hin immer dünner wird, ist Schnur-Bart eigentlich immer die richtige Schreibweise, oder? Das würde auch den Wort-Ursprung besser wiedergeben.

Die im Duden verwendete Schreibweise – mit zwei rr – wird meines Wissens damit begründet, dass der berühmte Baron von Schnurr diesen Bart erfunden hätte. Derselbe, der auch Dinge wie das Schnurr-lose Telefon (er schnitt einfach die Kabel ab) oder das Schnurr-cheln (Kopf unter Wasser und Fische kucken) erfunden hat. Zuzutrauen wäre es ihm. Wie aber jeder Historiker weiß, hatte der Baron keinen Bartwuchs.

In Wahrheit stammt der Begriff aus einer Zeit, in der nur Backen- oder Kinnbärte getragen wurden und die Oberlippe stehst kahl zu bleiben hatte. Bis eines Tages ein junger Mann gegen die Konvention verstieß. Er ließ ihn nicht nur wachsen, sondern zwirbelte die Enden seines Schnurbarts gar kunstvoll gen Himmel. Dies blieb nicht ungesehen. Als ihn ein Freund beim Essen schlussendlich zur Rede stellte und fragte, was er da auf der Oberlippe habe, antwortete er mit vollem Mund lapidar: „’sch nur Bart“.

Schon war die Verzwirbelung als Schnurbart benannt und bekannt. Aber Schluss jetzt, Bärte sind ein Anderes Thema.

Und ich bitte euch… Schnurrbart. Als würde da einer schnurren, wenn man ihm an die Oberlippe fasst… Überlege kurz, ob ich das bei meinem Fahrer ausprobieren soll. Besser nicht. Gehe lieber zu meinem Gepäck und trage es zum Wagen.

Als wir beim Minibus sind, öffnet er den Kofferraum. Warum er das tut, ist mir nicht ganz klar, denn der ist schon zum Bersten voll. Vielleicht will er mich damit beeindrucken? Nicke vorsichtshalber bewundernd. Er scheint aber nicht auf meine Bewunderung aus zu sein, sondern wirkt ebenfalls erstaunt über den vollen Kofferraum.
Er kratzt sich am Kopf und springt dann wie wild geworden auf das Gepäck. Anscheinend versucht er tatsächlich, meinen Rucksack noch dort unterzubringen. Nachdem er minutenlang das bereits eingepackte Gepäck gequetscht, gedrückt und mit Vodoo-Flüchen belegt hat, ist es geschafft. Es ist eine Lücke entstanden, die nicht breiter ist, als die zwischen seinen Zähnen. Er ist sich aber sicher, dass mein Rucksack da nun rein passt. Da er recht angespannt wirkt, spare ich mir kluge Kommentare und Vorschläge, die ich zuhauf hätte und zweifle lieber still an dem Erfolg seiner Aktion.

Der Koffer-Grill

Etwa eine Viertelstunde später steige ich – mit meinem Rucksack – in den Minibus und grüße meine vier Mitreisenden. Nach einigen Minuten halten wir an einer Bungalow-Anlage, wo zwei weitere Passagiere zusteigen. In Ermangelung Stauraums finden ihre Koffer neben mir, auf meinem Rucksack, Platz, was meinen Ausblick nach rechts von nun an auf Koffer beschränkt. Wenn da wenigstens lustige Motive drauf wären. Oder was zum Lesen. So oft habe ich mich gefragt, wer diese Motiv-Koffer kauft. Jetzt weiss ich es: Zu wenige Menschen. Bitte beim nächsten Kofferkauf an solche Situationen, wie die meinige, denken. Oder direkt einen neuen Koffer kaufen. Motive als Kaufmotiv.

Weiter geht es zu einer Hotelanlage, in der noch ein Pärchen mit vier Koffern zusteigt. Jetzt füllt sich auch der Fussraum unter mir und meine linke Seite wird mit Gepäck zugestellt.
Ich lache nervös und frage den Fahrer durch die verbliebene Lücke, wieviele Leute noch zusteigen. Er lacht mit und hält, ohne auf meine Frage einzugehen, nach etwa 300 Metern wieder an. Ein weiterer Passagier steigt zu. Auch er hat Gepäck. Er muss vorne auf dem Beifahrersitz sitzen. Da lagen vorher die Wochenend-Einkäufe des Busfahrers. Dieser ist gerade in meiner Sitzreihe und versucht, das Volumen des bereits vorhandenen Gepäcks durch Komprimierung – wildes Herumgedrücke wäre ebenfalls eine zulässige Beschreibung – zu reduzieren. Es bleibt beim Versuch. Nachdem das nicht klappt, bittet er mich auszusteigen, um die Koffer um mich herum neu zu ordnen. Mit den vielen Koffern fühle ich mich irgendwie nicht mehr sicher. Frage ihn, ob das Gepäck nicht auf das Dach kann. Er sagt nein. Frage ihn, ob ich nicht auf das Dach kann. Er sagt nein. Unterbreite ihm einen letzten Lösungsvorschlag: Er könne mich mit Tesafilm an die Außenseite der Schiebetür des Busses kleben. Der Fahrer zeigt sich leider nicht so kompromissbereit wie Zottel vor einiger Zeit. (Verpasst? Hier nachlesen.)

Stattdessen arrangiert er das Gepäck in meiner Sitzreihe wie ein Tetris-Professor, faltet mich zu einem L und schiebt mich zwischen die Koffer. Ganz schön eng. Dann stellt er mir auch noch die Tüte mit seinen Einkäufen in den Schoß. Gewürze und Gemüse. Das riecht zwar lecker, aber das kann der doch nicht ernst meinen. Gerade will ich mich beschweren, da verschliesst er mein Koffer-Verließ auch von der linken Seite. Ich bin umringt von Koffern, die bündig aneinander grenzen.
Zum Glück ist von einem der oberen Koffer während des Gepäck-Kompressionsversuchs eine Ecke abgesplittert, so dass ein dünner Lichtstrahl in meine Kofferhöhle hereinfällt und ein wenig Helligkeit spendet. Und Hoffnung. Da ich meinen Kopf nicht bewegen kann, beschränkt sich mein Ausblick dennoch. Für die nächsten Stunden werde ich wohl auf das Rimowa-Logo sehen müssen, dass sich einige Zentimeter vor meinen Augen befindet.
Es ist heiß und der Kampf Klimaanlage gegen einen bis unter die Decke gefüllten Bus ist so aussichtslos, wie mein Hotelzimmer auf Koh Phi Phi es war. Ich muss mich beschäftigen, um den Temperaturen und der aufkommenden Klaustrophobie zu trotzen. Versuche, Anagramme aus Rimowa zu bilden. Komme nur auf Warmio, dann zwingt die Hitze mein Gehirn zur Aufgabe.

Mit der steigenden Temperatur registriere ich, dass die Koffer, zwischen denen ich eingeklemmt bin, aus Aluminium bestehen. Mit diesen Rillen. Außerdem erhitzen sie sich sehr schnell. Wie Pfannen auf Induktionsherden. Sehr unangenehm. Moment! Der Fahrer!Der prüfende Blick, als er mich gesehen hat! Das viel zu fröhliche, unheimlich Grinsen! Die Gewürze und das Gemüse auf meinem Schoß! Auf einmal ergibt alles einen Sinn: Er muss Kannibale sein. Und er hat mich in eine riesige, improvisierte Panini-Maschine geklemmt. Die verbleibende Fahrtzeit sollte reichen, um mich von außen schön kross gebacken zu haben. Dann wird er mich essen. Versuche die Koffer wegzudrücken. Klappt nicht. Bekomme Panik. Verdammt, warum habe ich mich von dem Schnurbart ablenken lassen. Versuche rational zu denken. Versuche mir einzureden, dass jedes Risiko auch immer eine Chance beinhaltet. Ok, nachdenken. Zwar will ich nicht gegessen werden, andererseits kann es auch nicht schaden, mal so kross wie ein Panini zu sein. Und die leckeren kross-braunen Stellen… Und zack, kommt mir ein Geistesblitz.

Ich strecke mich nach meinem Rucksack, erreiche ihn und ziehe ein Handtuch und einige T-Shirts heraus. Das Tuch quetsche ich zwischen meinen Rücken und den hinteren Koffer. Damit ist meine Rückseite erstmal sicher. Mit den T-Shirts mache ich es auf meiner Bauchseite ähnlich, aber diesmal ziehe ich mein T-Shirt etwas hoch und lasse ein Rechteck von Stoff unbedeckt. Wenn das klappt…

Nachdem das getan ist, weiss ich nicht, was ich tun soll. Es kommt mir vor, als wäre ich schon ewig hier eingeklemmt. Habe das Zeitgefühl verloren. Nehme mir vor, für jeden vergangenen Tag einen Strich in einen Koffer zu kratzen. Aber die Fahrt dauert ja nur knapp drei Stunden. Also brauche ich gar keinen Strich zu kratzen. Mist, hatte mich schon darauf gefreut. Das hätte die Dramartugie nochmals deutlich befeuert.

Trotz meiner Bedenken döse ich ein und wache erst auf, als der Wagen irgendwann anhält. Der Fahrer packt mich und die ganzen Koffer aus und drapiert uns auf dem Strassenrand.
Ich stehe auf, strecke mich und hebe mein T-Shirt an. Yes! Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert! Stolz betrachte ich meinen Bauch und die sechs übereinander liegenden, roten Rillen. Naja, kein klassisches Sixpack und so richtig kross ist mein Bauch auch nicht. Aber besser als nichts. Mysteriöserweise macht der Typ keinerlei Anstalten mich zu essen. Er prüft nicht einmal meine Krossheit. Bin ein wenig eingeschnappt. Um mein Ego zu schützen, rede ich mir ein, dass er mich von Beginn an nicht essen wollte. Vermutlich ist er doch einfach nur ein ganz netter, dicker Mann. Mit zuviel Gepäck. Als kleines Dankeschön dafür, dass er mich nicht isst, fasse ihm an die Oberlippe. Ein intimer Moment der Stille. Dann macht er Geräusche, die nahelegen, dass Knurrbart ebenfalls eine mögliche Schreibweise wäre. Also besser schnell zum Check-in und ab zu den Elefanten.

Aber das ist dann ein Anderes Thema.
0

Schreibe einen Kommentar